Agri-PV als blau-grünes Zukunftsmodell

Birgit Scheuch von Birgit Scheuch (Gastbeitrag), , 4 Kommentare

Agri-PV ist ein blau-grüner Hoffnungsschimmer in Zeiten des Klimawandels. Gemeint ist die gleichzeitige Nutzung einer Fläche für die landwirtschaftliche Produktion und die Erzeugung von Strom aus Photovoltaik. Bisher existieren landwirtschaftliche Nutzflächen, und PV-Freiflächenanlagen meistens getrennt voneinander. Wer die beiden Landnutzungsformen bewusst kombiniert, kann von positiven Effekten profitieren.

Die Rechnung geht auf: Extrem effiziente Landnutzung durch Agri-PV

Prof. Dr. Kerstin Wydra von der Fachhochschule Erfurt forscht zum Thema Agri-PV: Die duale Nutzung der Ackerflächen für Nahrungsmittel und Solarstrom ermöglicht einen wesentlichen Beitrag gegen die Klimaerwärmung und zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung. Foto: Thüringer Erneuerbare Energien Netzwerk (ThEEN) e.V.

Prof. Dr. Kerstin Wydra von der Fachhochschule Erfurt forscht zum Thema Agri-PV: Die duale Nutzung der Ackerflächen für Nahrungsmittel und Solarstrom ermöglicht einen wesentlichen Beitrag gegen die Klimaerwärmung und zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung.
Foto: ThEEN e.V.

Nehmen wir erstens an, dass die Aufständerung maximal 15 Prozent einer Agri-PV-Fläche beansprucht oder es dort zu schattig für die Pflanzenkultur ist. Zweitens, dass der Stromertrag durch die größeren Reihenabstände verglichen mit einer Freiflächenanlage etwa 20 Prozent niedriger ist. Dann sind das in Summe 85 plus 80, also 165 Prozent Produktivität. Diese extrem effiziente Landnutzung ist das Hauptargument für Agri-PV.

Weltweit kämpft die Landwirtschaft mit Extremwetter-Ereignissen wie Starkregen, zunehmender Hitze und Hagelschlag. „Hier können wir die Kulturen durch eine PV-Anlage sogar schützen.“, erklärt Dr. Kerstin Wydra, Professorin für Pflanzenproduktion im Klimawandel an der Fachhochschule Erfurt: „Damit bietet Agri-PV eine Riesenchance – als Strategie zur Anpassung der Landwirtschaft an die schon derzeitigen und die zukünftigen Wetterextreme. Und schließlich hat das Ganze noch einen Effekt auf den Boden und die Biodiversität.“, sagt Dr. Kerstin Wydra.

In einer Studie hat sie mit Kolleg:innen das Potenzial von Agri-PV für Thüringen untersucht – mit dem Ergebnis, „dass durch die duale Nutzung der Ackerflächen für Nahrungsmittel und Solarstrom ein wesentlicher Beitrag gegen die Erwärmung unseres Planeten und zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung geleistet werden kann.“

Solare Artenvielfalt

Forschungsprojekte wie das Modular Arc System zeigen, dass Agri-Photovoltaik inzwischen auch in der Wirtschaft als Zukunftsperspektive ernstgenommen wird.
Foto: GOLDBECK SOLAR GmbH

Klassische Freiflächen-PV-Anlagen stehen bevorzugt auf minderwertigen Böden, versiegelten oder schwer zugänglichen Flächen. Bei der Aufstellung der Modulreihen zählt primär die optimale Ausrichtung zur Sonne. Bei der Agri-PV hingegen, erklärt Dr. Kerstin Wydra, kann sich die PV-Anlage nach der pflanzlichen Kultur richten und sehr unterschiedlich aussehen.

Die Einsatzmöglichkeiten sind so vielfältig wie die Technologie: Photovoltaik gibt es als starre, zur Sonne geneigte oder vertikale Konstruktion wie bei Solarfassaden, in Form flexibler Dünnschichtmodule oder organischer Solarzellen, in mehr oder weniger transparenter Ausführung, und Nachführsysteme folgen automatisch dem Sonnenstand.

Für eine Apfelplantage, deren Bäume viele Jahre stehen, bietet sich beispielsweise eine feste Überdachung in drei Meter Höhe an. Auf dem Hühnerhof, wo die PV-Module den Tieren Schutz vor der Sonne und Raubvögeln bieten sollen, sind sie vielleicht nur hüfthoch aufgeständert.

Bei Gewächshauskulturen kann die herkömmliche Glaskonstruktion ganz oder teilweise durch Photovoltaik-Elemente ersetzt werden. Ähnliches gilt für Hagelschutznetze und Folien im Obst- und Gemüseanbau.

Vertikale PV-Elemente zwischen den Reihen oder als Eingrenzung der Kultur oder Weide sind typischerweise bifazial. Das heißt, sie nehmen von beiden Seiten Sonnenlicht auf und liefern dadurch zu unterschiedlichen Tageszeiten Solarstrom.

Steuerbare Module sind wiederum ideal, um den Strom- und Ernteertrag zu optimieren: Brauchen die Äpfel ein paar Tage Sonne, um rote Bäckchen zu entwickeln, werden die Überdachungen aus dem Weg geklappt. Und von hier ist es nicht mehr weit zum Smart Solar Farming, bei dem sich die Photovoltaik mithilfe von Wetterdaten aus dem Internet auf heranziehende Hagelschauer einstellt.

Alleskönner Agri-PV

Agri-Photovoltaik (Agri-PV) steht für die gleichzeitige Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Nahrungsmittelproduktion und die Stromerzeugung mithilfe von Photovoltaik. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, das seit Jahrzenten zur Agri-PV forscht, verwendet den Begriff für Anlagen auf Grünland, im Acker- und Gartenbau – nicht aber für geschlossene Gebäude und Aquakulturen. Unsere Interviewpartner:innen haben sich dieser Definition angeschlossen.

Neben der Stromerzeugung bietet Agri-PV für praktisch jede landwirtschaftliche Produktionsform einen Zusatznutzen, beispielsweise

  • Schutz vor regelmäßigen Phänomenen wie Frühjahrsfrösten und -trockenheit
  • Schutz vor Extremwetter: Dürre, Hagel, Frost
  • Sinkender Bewässerungsbedarf durch Beschattung
  • Besseres Pflanzenwachstum bei schattentoleranten Pflanzenarten
  • Schutz vor Raubvögeln bei der Freiland-Hühnerhaltung
  • Schutz arbeitender Menschen vor Hitze und Sonneneinstrahlung
Kartoffeln unter dem Kollektor
Nachhaltige Rasenmäher: Wo Weidevieh unter den Modulen grast, kann es sinnvoll sein, innerhalb des PV-Felds kleinere Umtriebweiden abzustecken. Foto: Colorado Agrivoltaic Learning Center

Wo Weidevieh unter den Modulen grast, kann es sinnvoll sein, innerhalb des PV-Felds kleinere Umtriebweiden abzustecken.
Foto: Colorado Agrivoltaic Learning Center

Schon 1981 war in der Fachzeitschrift Sonnenstrom von „Kartoffeln unter dem Kollektor“ zu lesen. Verfasst hat den Beitrag der Gründer des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE), das seit 2014 in verschiedenen Studien und Pilotprojekten im Rheinland, aber auch in Algerien, Chile und Mali die Machbarkeit der Agri-Photovoltaik erforscht.

Als vor einigen Jahren die Kosten für PV-Module zu sinken begannen, seien Spielräume zum Ausprobieren „verrückter“ Ideen entstanden, erklärt Sophia Judith Bächle vom Fraunhofer ISE. Und natürlich habe auch der politische Willen zur Förderung solcher Projekte dazu beigetragen, dass das Szenario Agri-PV nun endlich Realität wird.

Daniel Rosende Völker, Managing Director Latin America für die SMA AG, sieht einen wachsenden Trend: „Unsere Kunden interessieren sich zunehmend für eine Mehrfachnutzung von Flächen. Das ist ein wichtiger Ansatz, schließlich brauchen wir für das Gelingen der Energiewende große Areale zur Produktion von erneuerbarer Energie. Und wenn wir genau diese Flächen vielfältig nutzen, sind wir auf einem guten Weg.”

Byron Kominek, Betreiber von Jack’s Solar Garden, vereint in seiner Agri-PV-Anlage Forschungsarbeit und Gemeinwohl.
Foto: Werner Slocum, NREL

Pionier in Sachen Agri-PV

Als der Anbau von Heu und Futterpflanzen für das Überleben der Farm von Opa Jack in Boulder County, Colorado, nicht mehr reichte, suchte Enkel Byron Kominek nach einer neuen Einnahmequelle. Und so entstand im Jahr 2019 Jack‘s Solar Garden, ein Kooperationsprojekt mit Forschern des US-Energieministeriums (DOE), dem National Renewable Energy Laboratory (NREL), der Colorado State University und der University of Arizona.

Heute ist Jack‘s Solar Garden nicht nur die größte Forschungseinrichtung zur Agri-PV in den Vereinigten Staaten. Es ist auch ein Community-Projekt: Ein Teil des erzeugten Stroms ist für Haushalte mit niedrigem Einkommen reserviert. Die Umweltorganisation National Audubon Society pflanzt rund um die Solaranlage ihre bisher größte Schutzzone für Bestäuber. Und das Agrivoltaic Learning Center informiert Schüler:innen, Bürger:innen und politische Entscheidungsträger:innen über die duale Landnutzung für saubere Energie und regionale Lebensmittel.

Mehr über Byrons Vision erfahrt ihr in der Sonnenallee.

Weltweit im Kommen

Bis Gärtnereien, Weinberge und Kartoffeläcker im notwendigen Umfang solar überdacht sind, wird es wohl noch dauern. Länder, in denen die Folgen des Klimawandels bereits deutlich zu spüren sind und wo die Politik andere Akzente setzt, sind da weiter. „China hat die größte Anlagenkapazität mit 12 Gigawatt Nennleistung. Weltweit sind es 14 Gigawatt.“, weiß Dr. Kerstin Wydra. In Japan mit seinen knappen Anbauflächen gibt es seit 2013 staatliche Fördermaßnahmen und inzwischen rund 2000 Agri-PV-Anlagen, unter denen 120 verschiedene Kulturen – Beeren, Getreide, Pilze, Tee und Kaffee, Gemüse und Kräuter – gedeihen.

Daniel Rosende Völker ist überzeugt: „Grundsätzlich ist das Potenzial von Agri-PV in Lateinamerika und in jeder anderen Region mit einer relevanten Agrarindustrie enorm. Erstens gibt es klare technische Lösungen für die Herausforderungen der Branche. Zweitens sind diese inzwischen auch kommerziell attraktiv.“

In Mitteleuropa überwiegen derzeit noch die Forschungs- und Pilotanlagen, doch der kommerzielle Betrieb wird zunehmend realistisch. Und die im Sommer 2022 verheerenden Dürren machen Agri-PV zu einer attraktiven Option für landwirtschaftliche Betriebe, um den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen.

 

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4 Kommentare
  1. Hans Wörner
    Hans Wörner sagte:

    Agri-PV gehört die Zukunft!
    Bereits 15% der landwirtschaftlich genutzten Fläche reicht für unseren Strombedarf!
    Ob allerdings die Flächenmodule oder die Röhrenmodule von tubesolar die Lösung sein werden, muss man sehen.

    Antworten
  2. Martin
    Martin sagte:

    Ein Phantastischer Beitrag der sehr gut zeigt, was PV alles ermöglicht. Hier trägt PV zur Energiegewinnung, CO² Reduzierung und Schutz von Pflanzen zur Nahrungsgewinnung bei. Kombiniert man die Vorteile noch mit der Möglichkeit die Energiespeicher und grüne Wasserstofferzeugung bieten, dann muss allen Menschen klar sein, an Photovoltaik führt kein Weg vorbei, sondern es ist der Weg in eine grüne und lebenswerte Zukunft.

    Antworten
    • Martin
      Martin sagte:

      Die Realität sieht anders aus!
      Im Landkreis Starnberg wurden 50ha Freiflächen Solaranlage ausgewiesen, ohne Rücksicht auf Bodenpunkte, Jagd, Erholungsfunktion.
      Zusätzlich fördert die Gemeinde Dachbegrünungen auf Industriegebäuden.
      Große Fehlentscheidungen, nur um einem Trend schnellstmöglich gerecht zu werden.
      AgriPV ist nicht wirtschaftlich umzusetzen! (Ausnahme Sonderkulturen)

      Antworten

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