„Internationaler Energiewandel durch Kunst“

Lore Klipp (Mitte) bei einer Führung durch die documenta-Halle

Unsere Mitarbeiterin Lore Klipp (3. v. r.) ist „Wordly Companion“ der dOCUMENTA (13), zu Deutsch weltgewandte Begleiterin. Die über 130 geschulten Companions sind vornehmlich Kasselerinnen und Kasseler, die Besucher mit Ihrem eigenen Hintergrund und Wissensfeld über die dOCUMENTA leiten. Wir haben Lore nach ihren Tipps und Highlights der diesjährigen Kunstschau gefragt und was ihr zum Thema „Energie ≠ Kunst“ einfällt. 

 

Lore, was ist das Konzept der dOCUMENTA (13)?

Diese dOCUMENTA ist konsequent international, sie ist politisch und stellt kritische Fragen zu Themen, die sich über den gesamten Erdball ziehen. Geldwirtschaft, Perspektiven der Geschichtsschreibung, Ökologie beispielsweise. Die thematische Klammer darüber ist die Frage nach dem Umgang mit Zerstörung und Wiederaufbau. Dabei werden die unterschiedlichsten Aspekte angesprochen und einbezogen. Die dOCUMENTA bezieht z. B. Kasseler Geschichte im und nach dem zweiten Weltkrieg ein. Kassel wurde ja schwer zerstört, weil es ein wichtiger Ort zur Produktion von Panzern und andere Kriegsgeräten war. Viele Kunstwerke beziehen Aspekte Kasseler Geschichte ein, manche eröffnen den Besuchern eine neue Perspektive auf die Stadt. So gibt es ständig neue Stellen zu entdecken, die ich als Kasselerin so noch nicht kannte und als Geschenk wahrnehme. Zum Beispiel die Weinbergterrasse oder auch die Base, neben dem Schrotthaufen hinter dem Nordflügel des Kulturbahnhofs. Du sitzt in einem improvisierten Cafe im Niemandsland und hast einen tollen Blick auf den Herkules – möglichst auch noch in der Abendsonne. Sehr nett.

dOCUMENTA findet außerdem in Kairo und in Kabul statt, hat auch Künstler aus Afghanistan und Ägypten eingeladen und steht im engen Austausch miteinander. Eine Frage ist, ob Kabul von Kassel lernen kann. Das hört sich alles verkopft an, sehr viele Arbeiten sprechen uns als Besucher sehr direkt und überzeugend an.

Die dOCUMENTA ist auch auf den Hund gekommen [es gibt spezielle Führungen für Hunde und einen künstlerisch gestalteten Hundeparcours; Anm. der Redaktion]. Eine Aufforderung, sich bewusst zu machen, dass wir als Menschen nicht alleine auf der Welt sind, nicht die einzigen sind, die ein Anrecht auf Wachstum und Entfaltung haben.

 

SMA macht das Spannungsfeld „Energie ≠ Kunst“ auf? Was fällt dir dazu ein?

Am Anfang war ich etwas skeptisch und irritiert über diesen Ansatz. Ich hatte die Befürchtung, dass man einen zu engen bzw. verkürzten Blick auf die Ausstellung bekommt und nur noch nach Kunstwerken mit Bezug zu Energie sucht. Mittlerweile hat sich das geändert, weil ich finde, dass diese documenta sehr wohl Energien entfaltet. An allen Ecken sind neugierige Menschen unterwegs, sehr viele im Gespräch miteinander. Schöne Seiten von Kassel werden sichtbar gemacht, spannende Diskussionen werden geführt.

Kunst ermöglicht, dass wir uns Fragen aus einem anderen Blickwinkel anschauen, unsere Wahrnehmung öffnen. Diese dOCUMENTA denkt weit über Kassel hinaus, bis nach Beirut und Kabul. Auch das ist Energiewandel. Dieser internationale, integrative Gedanke – gerade den finde ich spannend in Bezug auf Energie und Kunst.

 

Wenn ich für den dOCUMENTA-Besuch nur einen Tag hätte, was sollte ich unbedingt gesehen haben?

Wer den großen Zusammenhang der dOCUMENTA erkennen will, sollte ins Fridericianum gehen und sich die Videos zu Kabul anschauen. Dann empfehle ich einen Besuch in der Neuen Galerie. Dort unbedingt im Keller den Film von Wael Shawky anschauen! Das ist ein Marionettentheater als Spielfilm, in dem die Kreuzzüge nachgespielt werden. Auf der Grundlage einer Veröffentlichung über die Kreuzzüge aus Sicht der Araber. Gut und Böse wird aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt und damit hinterfragt. Technisch sehr  gut gemacht. Der Film will zeigen, dass ungelöste Konflikte aus dieser Zeit heute noch Konsequenzen auf  das Scheitern von Ost-West Themen haben. Im ersten Stock der Neuen Galerie unbedingt Geoffrey Farmers Blick auf die amerikanische Geschichte von 1935 bis 1985 ansehen.

Wer gern Bilder anschaut, kann das super in der documenta-Halle tun.  Wenn das Wetter es zulässt, sollte man außerdem in die Karlsaue gehen. Um die Kunst in den verschiedenen Hütten zu erleben, empfehle ich, ein Fahrrad mit zu nehmen. In der Orangerie hat mich der Film von Mika Taamila beeindruckt, der den Bau des 1. Finnischen AKWs nach Tschernobyl dokumentiert. In meinen Augen lohnt sich eine Dauerkarte. Dann ist es auch möglich, sich die vielen kleineren Arbeiten im Stadtgebiet nach und nach anzuschauen. Quasi auf dem Weg zum Bäcker, in der Friedrichstraße oder Obersten Gasse/Steinweg und so weiter.

 

Abschließend: Was ist dein vorläufiges Fazit von der dOCUMENTA (13)?

Es ist super spannend und ich bin sehr dankbar, dass ich als Companion dieses Mal einen so guten Zugang zu den Themen bekommen konnte. Klasse ist auch, dass ich seitens SMA für den ganzen dOCUMENTA-Sommer pro Woche einen Tag unbezahlten Urlaub nehmen kann, um für die dOCUMENTA arbeiten zu können. Meiner Ansicht nach ist es eine der besten dOCUMENTA-Ausstellungen, die wir je hatten. Alle, die ich bisher getroffen habe, sagen, sie gehen mindestens noch einmal hin.

 

Lore, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Zur Person: Lore Klipp arbeitet seit 2004 als Personalreferentin bei SMA. Sie ist ausgebildete Kunst- und Religionslehrerin für die Oberstufe und hat zwischendurch als Software-Entwicklerin gearbeitet.

 

This article was published in 2012. As we are constantly developing our solutions, there may be newer or additional options for the tips and techniques in this article.

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