7. Barcamp Renewables: So schaffen wir die Energiewende

Für das 7. Barcamp Renewables brauchte es nicht mehr als das passende Stichwort: Sektorenkoppung. Daraus ergaben sich spannende Sessions: Wie schaffen wir die intelligente Vernetzung von Energie? Welche Rolle spielen dabei Cyber-Security und Solarcoin? Und wann kommt endlich die Diesel-Fee?

 

Die Themen und Motivationen der Barcamper sind vielseitig, aber eins ist allen gemein: Sie sind Fans, Macher und Multiplikatoren der Energiewende. Und fest entschlossen, die drei großen „D“ –Dekarbonisierung, Digitalisierung und Dezentralisierung – in die Tat umzusetzen.

Zugegeben, ergänzend zum Thema Sektorenkopplung treibt mich, die ich zum ersten Mal beim Barcamp dabei bin, eine weitere Frage um: Wie schafft es eine Veranstaltung, die zum siebten Mal stattfindet, den Spannungsbogen so hoch zu halten, dass jedes Jahr mehr Teilnehmer nach Kassel kommen? Diesmal sind es mehr als 120 Interessierte. Und sie kommen aus den verschiedensten Branchen, einige auch als Privatperson. Das Prinzip einer solchen Unkonferenz: Gemeinsam Ideen entwickeln, neue Methoden ausprobieren und vor allem netzwerken – ohne hinderliche Hierarchien und mit Duz-Kultur. Das scheint aufzugehen.

 

Barcamp Renewables 2018

Schon im Plenum in der Günther Cramer Solar Academy ist klar: Keine Spur vom verflixten siebten Jahr. Im Gegenteil: Viele Teilnehmer sind Wiederholungstäter, teilweise seit dem ersten Mal dabei. Sie wollen auch jetzt wieder Ideen und Themen präsentieren, neue Impulse sammeln und vor allem gemeinsam weiterkommen in Sachen Energiewende. Dazu nutzen sie die zwei Tage und rund 30 Sessions ebenso wie auch die Pausenzeiten, in denen munter weiter diskutiert wird. Langweilig wird einem hier jedenfalls nicht.

 

 

Podiumsdiskussion: Sektorenkopplung als Schlüssel für die Energiewende

Auf dem Podium am Donnerstag diskutierten 100 Teilnehmer gemeinsam mit Janice Goodenough von Hydro Grid (Wasserkraft), Felix Goldbach von Fenecon, Jasmin Wagner von EnergieAgentur.NRW, und Dr.-Ing. Jürgen Reinert von SMA. Den zweistündigen Abend in der „Neuen Denkerei“ moderierte die österreichische Energiebloggerin und Solarunternehmerin Cornelia Daniel.

Hier die wichtigsten Ergebnisse:

1. Sektorenkopplung, also die intelligente Verbindung von Strom, Wärme und Mobilität ist der Schlüssel für die Energiewende.
2. Zentrales Ziel ist die weltweite Dekarbonisierung
3. Digitalisierung unterstützt Sektorenkopplung und löst das Denken in Silos ab
4. Vieles steckt allerdings noch in den Kinderschuhen
5. Die Energiewende ist leider immer noch keine Chefsache

Und so kann die Mammutaufgabe Energiewende gelingen:

1. Neue Technologien ermöglichen wie Power to Gas oder Speicheroptimierung durch Schwerkraftspeicher für dezentrale Energieerzeugung und Solid State Glas Batterie
2. Intelligentere Netze und virtuelle Kraftwerke schaffen, die den teuren Netzausbau verringern und das Netz stabilisieren
3. Eine echte Roadmap für die Energiewende aufsetzen und alle Beteiligten aufklären
4. Ökobilanzen beachten: Muss jeder ein E-Auto, einen Speicher und eine Solaranlage haben, oder sind größere Quartiersspeicher ökologischer?
5. Recycling-Lösungen für Batterien mitdenken: „Second Life für Batterien“
6. Nicht auf die eine, steuernde Hand setzen, sondern auf den Schulterschluss zwischen Politik und Wirtschaft

 

Frische Ideen über alle Grenzen hinweg

Die Zahnfee ist wahrscheinlich insbesondere Eltern kleiner Kinder bekannt: Sie kommt, wenn die Kinder ihren ersten Milchzahn verloren haben. Im Tausch gegen den Zahn hinterlässt sie den Kleinen ein Geschenk unter dem Kopfkissen. Dasselbe könnte man doch auch mit dem Diesel machen, findet Christian Andresen, um den Umstieg auf Elektromobilität zu beschleunigen. Wahrscheinlich muss die Diesel-Fee anders als bei den kindlichen Milchzähnen erst noch einiges an Vorarbeit leisten, um den Großen diesen Zahn zu ziehen.

Auch Detlef Beister von der SMA Tochter coneva treibt die Frage um, wie sich Elektro-Mobilität und Strom attraktiv verbinden lassen. Er stellt seine Idee für eine App in einer Session vor und sammelt Ideen für die konkrete Umsetzung: „Ich habe einige wirklich gute Anregungen mitgenommen. Im Februar stellen wir eine Demoversion der App vor. Da findet sich sicher der eine oder andere Impuls aus dem Barcamp wieder.“

 

„Das Zusammenkommen von Leuten aus den unterschiedlichsten Renewables Bereichen finde ich sehr nützlich und wichtig, um nicht immer nur im „PV-Silo“ zu denken.“

Detlef Beister (coneva)

 

Keine Energiewende ohne Cyber-Sicherheit

Energiewende setzt IT-Sicherheit voraus: Marek Seeger ist im Breich Cyber-Security zu Hause und sagt, wie´s geht.

Energiewende setzt IT-Sicherheit voraus: Marek Seeger ist im Breich Cyber-Security zu Hause und sagt, wie´s geht.

Was passiert eigentlich, wenn bei uns das Licht ausgeht und die Menschen tagelang ohne Strom auskommen müssen? Nur ein Horrorszenario wie es Marc Elsberg in seinem Roman „Blackout“ beschreibt? Oder liegt das im digitalen Zeitalter doch im Bereich des Möglichen? „Beim Thema Energie schaltet sich inzwischen auch der Verfassungsschutz ein, denn Energienetze sind ein Thema für die nationale Sicherheit“, weiß Marek Seeger aus seinem Berufsalltag zu berichten.

Er ist Information Security Manager bei SMA und zeigt uns in einem Live-Hack, wie man innerhalb weniger Minuten mit einer Standardssoftware ein Passwort entschlüsselt. „Denn Energienetze haben eine Sonderrolle, das geht über reine Wirtschaftskriminalität hinaus. Wir arbeiten deshalb international mit diversen Institutionen zusammen.“

 

Security by design

Dezentralisierung und Diversifikation seien per se erstmal gute Schutzmechanismen. Andererseits werde aber die Verbraucherseite mit untereinander vernetzten Geräten angreifbarer. Marek weiß: „IT-Sicherheit fängt immer schon bei der Produktentwicklung an.“ Security by design lautet die Formel. Standard-Protokolle wie EEBUS und Sunspec verhelfen Herstellern auf ein gemeinsames Sicherheitslevel. In der neuen Energiewelt seien aber alle Beteiligten gefragt: Kunden, Verbraucher, Installateure und Hersteller.

 

„Sehr erfrischendes Veranstaltungsformat, das den Austausch von Ideen und Kontakten dadurch total einfach macht, dass es keine Hierarchien oder klassische Frontalvorträge gibt. Bin nächstes Mal gerne wieder dabei.”

Joul, YouTuber über Energiewende und Nachhaltigkeit

Energiewende Level 2: Sektorenkopplung

 

Sektorengekoppelte Bürgerenergie garantiert Versorgungssicherheit

Für eine insgesamt sichere Energieversorgung sind resiliente Systeme gefragt. Technische Systeme also, die bei einem Teilausfall nicht vollständig versagen. Daher stehen Bürgerparks bei Martin Rühl vom Bündnis Bürgerenergie e.V. dezentrale Bürgerenergie ganz hoch im Kurs. Sein Plädoyer: Konsequent auf dezentrale Versorgungszellen mit etwa zwei Gigawatt Leistung in Bürgerhand setzen. In jeder Zelle ist dann eine gute Durchmischbarkeit von Wind- und Solarenergie möglich.

„Das ermögliche einen Eigenversorgungsgrad von 70 Prozent. Mit Sektorenkopplung, etwa durch Einbeziehung von Elektromobilität, sind dann sogar 85 Prozent und mehr drin“, so Martin Rühl. Klar, auch solche Zellen sind von außen angreifbar, aber dann wesentlich schneller wieder stabil hochfahrbar.

 

Dezentral und bürgernah: Martin Rühl will die Energiewende für Menschen und nicht gegen sie.

Dezentral und bürgernah: Martin Rühl will die Energiewende für Menschen und nicht gegen sie.

Energie dezentral erzeugen ist kostengünstig und sicher

Martin Rühl weiß, wovon er spricht. Als ehemaliger Geschäftsführer der Stadtwerke Wolfhagen war er wesentlich an den Bürgerwind- und Solarparks der Gemeinde Wolfhagen beteiligt. Seine Erfahrung: Die Beteiligung der Leute vor Ort an der Energieerzeugung erhöht die Akzeptanz für Wind- und Solarenergie.

Die zentralistische Energiewende, wie sie die Regierung vorsieht, hält er hingegen für falsch. Sie liefert keine Antwort auf das Szenario mit 250 Gigawatt Strom aus Wind- und Solarenergie. Sie berücksichtigen auch nicht die Gesamtkosten der Strombereitstellung inklusive Erzeugung und Transport: „Wir sehen doch heute schon am Widerstand gegen die Südlink, wohin das führen kann. Wir denken europaweit bisher leider nur in großen und langen Übertragungswegen.“

Der Bedarf an Südlinks (Geplanter Korridor zum Bau von Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Leitungen im Rahmen des Netzentwicklungsplans) wird also steigen – und damit auch der Widerstand der Bevölkerung. Dahingegen sinken die Kosten für dezentrale Energiesysteme seit Jahren.

 

Dringend nötig: Zentrale Stimme für die dezentrale Energieversorgung

Apropos Widerstand: Natürlich ist auch der Widerstand gegen den Kohleabbau im Hambacher Forst ein Thema: „Hambi bleibt“.  Markus Steinkötter ist unweit des Forstes aufgewachsen und beschreibt, wie er als kleiner Junge staunend vor den riesigen Schaufelbaggern des Tagebaus stand. Heute ist er einfach nur noch erschüttert darüber, wie Deutschland mit billiger Kohleenergie die Strompreise in den Nachbarländern kaputt macht und damit die Energiewende behindert.

Auf der Plattform Energy Charts vom Fraunhofer ISE kann man sehr genau sehen, dass der deutsche Stromexport im Winter sogar steigt. Von gefährdeter Versorgungssicherheit ist da keine Spur. Letztendlich gehe es aber gar nicht darum, RWE in die Enge zu treiben, sondern machbare Lösungswege aufzuzeigen.

 

Urwald Hambacher Forst erhalten

Die Lösung kann jedenfalls nicht sein, einen Jahrtausende alten Wald abzuholzen und dafür ganze Dörfer umzusiedeln, um auch das letzte bisschen Kohle zu verstromen. Petra Franz sieht in der Bewegung um den Hambacher Forst eine Chance für die Energiewende. Der Handlungsdruck allerdings ist groß: „Es geht um mehr als CO2. Wir müssen jetzt ein Statement setzen – und zwar mit einer zentralen Stimme für die dezentrale Energieversorgung. Noch bevor die Kohlekommission ihr Statement abgibt.“

Dafür setzt sich das Netzwerk Energieliga ein. Es geht darum, jetzt die richtigen Energien zu bündeln, um die Protestbewegung gegen den Kohleabbau im Rheinischen Revier zu einer Erfolgsgeschichte für die Energiewende zu machen. Das ist schon einmal gelungen: Im oberpfälzischen Wackersdorf protestierte die Bevölkerung erfolgreich gegen den Bau einer zentralen Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken und erwirkte 1989 den Baustopp.

 

Solarcoin: Eigene Währung für Solarenergie

Und schließlich ist da noch die Sache mit Solarcoin. Der Mitbegründer der Währung, Nick Gogerty, hielt seine Session per Webex aus New York. Die Premiere auf dem Barcamp Renewables moderierte die österreichische Energiebloggerin Cornelia Daniel und lud ein „in eine neue Welt der Kryptowährung“. Die Idee hinter Solarcoin, die auf der Blockchain basiert: Für jede produzierte Megawattstunde bekommen Anlagenbetreiber einen Solarcoin.

 

“Das Barcamp ist eine großartige Umgebung, in der Menschen mit vielseitigen Hintergründen zu einem Thema zusammenkommen können. Hier können sie ihre gemeinsame Leidenschaft für das Vorankommen der Energiewende teilen und vorantreiben.”

Nick Gogerty (Gründer von Solarcoin)

 

Beantragen können Betreiber die Währung etwa über die Online-Plattform Sunny Portal und erhalten monatliche Auszahlungen. Sie können ihre Solarcoins dann entweder sparen oder sie in andere Währungen eintauschen bzw. in Wohltätigkeitsprojekte spenden, die die Währung annehmen. Bisher gibt es die Währung laut Gogerty in 68 Ländern weltweit. Elf Terrawattstunden sind gegen Solarcoin getauscht. Damit könnten elf Millionen amerikanische Haushalte einen Monat lang mit Solarstrom versorgt werden.

Für Nick Gogerty ein Erfolg, aber erst der Anfang: „Solarenergie wächst und wird immer datengesteuerter. Mit unseren Tools und Techniken wollen wir die Innovationen in den Bereichen Wirtschaft und Daten vorantreiben, die uns dann eine bessere Zukunft ermöglichen.“

 

Mein persönliches Fazit

Barcamp Renewables 2018: Das war erfrischend, unterhaltsam und extrem faszinierend. Und vielleicht ist das Thema Sektorenkopplung gar nicht so kompliziert, wie es sich oft anhört?

Kurz und knapp: Daniel Bannasch erklärt die Energiewende auf dem Bierdeckel.

Kurz und knapp: Daniel Bannasch erklärt die Energiewende auf dem Bierdeckel.

Immerhin kann Daniel Bannasch von MetropolSolar Rhein-Neckar die Energiewende auf dem Bierdeckel zusammenfassen. Es ist nur so, dass in der neuen Energiewelt statt einiger weniger Großunternehmen, eben viele kleine Player am Markt beteiligt sind. Und das ist gut so, vermutlich sogar besser – Energie geht uns schließlich alle an.

Ich werde auf jeden Fall im nächsten Jahr gerne wiederkommen.  Denn ich weiß jetzt, warum das Barcamp Renewables auch in der siebten Ausgabe noch immer nicht an Attraktivität eingebüßt hat. Weil es die richtigen Themen setzt und die richtigen Leute zusammenbringt: Die klugen Köpfe, Pioniere und Ideengeber der Energiewende. Ich bin mir ziemlich sicher: Wenn es mehr solcher Veranstaltungen gäbe und damit mehr Keimzellen für gute Ideen, dann könnte die Energiewende tatsächlich an Fahrt aufnehmen.

Vielleicht wären da auch unsere Politiker gut beraten, hier einmal reinzuschnuppern. Sie könnten von der Aufklärungsarbeit und den teils heimlichen Machern der Energiewende enorm profitieren. Nur eines steht dem wohl im Wege: Zu einem Barcamp gibt es eigentlich keine Einladung. Sie speisen sich allein aus der Motivation der Teilnehmer. Vermutlich ist aber auch gerade das eines der Erfolgsrezepte.

Bleibt zu hoffen, dass das, was hier an zwei Tagen gesät wurde, aufgeht und vielleicht bis zum nächsten Barcamp sogar schon erste Früchte trägt. Und dass dann aus diesen Früchten wieder Neues und Erneuerbares für´s nächste Jahr entstehtJ

 

Barcamp RenewablesDas ist das Barcamp Renewables

Im Jahr 2012 veranstaltete Julia Heimeier mit einer Handvoll Helfern das erste Barcamp Renewables in Kassel. Zur ersten Unkonferenz für Erneuerbare Energien kamen rund 50 Teilnehmer aus ganz Deutschland und Österreich, um angeregt über ihre selbst platzierten Themen zu diskutieren und zu netzwerken. Viele von ihnen lösten ihr Versprechen ein, kamen auch in den Folgejahren wieder und brachten immer mehr Interessierte mit. Inzwischen setzt die Veranstaltung jedes Jahr einen aktuellen Themenschwerpunkt und ist zu einem festen Event der Energiewende geworden. Zum diesjährigen Schwerpunkt „Sektorenkopplung“ diskutierten rund 120 Macher und Fans der Energiewende.

 

Wenn ihr einen Eindruck bekommen wollt, welche Themen sonst noch diskutiert wurden, hier die komplette Agenda. Und wer gerne beim nächsten Barcamp dabei sein möchte, sollte sich auf der Barcamp Website im Newsletter anmelden. Oder ihr besucht das 1. Barcamp Zukunftsenergien vom 2.11.2018 – 3.11.2018 in der Nordsee Akademie.

 

Hier findet ihr weitere Berichte über das Barcamp Renewables:

 

 

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This article was published in 2018. As we are constantly developing our solutions, there may be newer or additional options for the tips and techniques in this article.

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