Die netzbildende Technologie als wichtiger Teil der Energiewende

Erneuerbare Energien können einen wachsenden Energiebedarf decken. Aber können sie auch die Systemstabilität gewährleisten, wenn konventionelle Kraftwerke zunehmend abgeschaltet werden? Große Batteriespeicher mit netzbildenden Wechselrichtern spielen hierbei eine Schlüsselrolle. Was bisher die Schwungmasse der Systemgeneratoren in konventionellen Kraftwerken leisten musste, übernimmt in der zunehmend erneuerbaren Energieversorgung die Leistungselektronik der Wechselrichter. Hier erfahrt ihr, wie diese Technologien zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen und wie die Umstellung auf eine 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung gelingen kann.

Kraftwerke sorgen neben der Energieproduktion auch für die Netzbildung. In konventionellen Kraftwerken sorgen Synchronmaschinen mit rotierenden Schwungmassen für die Netzstabilität, indem sie auf Störungen reagieren. Diese Momentanreserve sichert den Netzbetrieb und hält die Netzfrequenz stabil. Mit der Abschaltung dieser Kraftwerke können netzbildende (engl. grid-forming) Wechselrichter in Batteriespeichern diese wichtigen Stabilisierungsfunktionen übernehmen.

Eine weitere wichtige Funktion für einen zuverlässigen Netzbetrieb ist außerdem der Netzwiederaufbau. Über die Schwarzstartfunktion können sich die netzbildenden Wechselrichter mit Batteriespeicher selbst starten und so nach seltenen Extremereignissen als Starteinheit für den Wiederaufbau des Netzes dienen. Die Leistungselektronik übernimmt hierbei die Aufgaben der Synchrongeneratoren.

Die Rolle von netzbildenden Wechselrichtern

Im Gegensatz zu den zentral gesteuerten konventionellen Kraftwerken verfügen Wechselrichter nicht über drehende Massen, sondern die netzstabilisierenden Funktionen werden über Regel-Algorithmen programmiert. Der Leistungselektronik des Wechselrichters kommt hier also die entscheidende Aufgabe zu.

Dabei kann die Hardware gleich oder ähnlich aussehen, während die Software neben den normalen Anlagenfunktionen je nach Bedarf und Anforderungen unterschiedliche Funktionalitäten ermöglicht. Eine Batterie kann dann als Energiespeicher genutzt werden, um gespeicherte Energie aus der Mittagszeit in den Abend zu verschieben. Sie ist aber auch jederzeit bereit, Leistungsspitzen abzufangen, um die Frequenz stabil zu halten. Große Batteriespeicherkraftwerke in der Hoch- und Höchstspannung erbringen hier aktuell schon Stabilitätsdienstleistungen.

Batteriespeicherkraftwerke lösen dabei die beiden großen Herausforderungen der Transformation des Energiesystems: Netzstabilisierung und Entlastung des Netzes.

In diesem Video erfahrt ihr, wie Grid Forming funktioniert:

Stabile Netze und sichere Rendite mit erneuerbaren Energien

Beispiele aus der Praxis: Das Vereinigte Königreich ist Vorreiter bei Grid Forming

Bei neuen Netzdienstleistungen, insbesondere für Momentanreserve und Kurzschlussleistung, ist aktuell das Vereinigte Königreich (United Kingdom, UK) ein Vorreiter. Das Land will sich bis 2035 vollständig kohlenstofffrei mit Strom versorgen (Net Zero) und bis 2050 Klimaneutralität erlangen.

Dazu wurden von NGESO (National Grid Electricity System Operator) zahlreiche Programme gestartet, zu denen auch das Programm „Stability Pathfinder“ zählt. In diesem Rahmen werden erste Projekte umgesetzt, in denen Batterie-Großspeicher Stabilitätsdienstleistungen auf Basis der netzbildenden Wechselrichter zur Verfügung stellen. Damit wird das britische Stromnetz auch bei zunehmend erneuerbarer Leistung stabil und zuverlässig bleiben.

Die Verträge im Rahmen des „Stability Pathfinder“-Programms sind weltweit die ersten über die Erbringung der Systemdienstleistungen Momentanreserve und Kurzschlussleistung. Fossile Energieimporte sollen so reduziert sowie zusätzliche erneuerbare Energieressourcen und mehr Effizienz ermöglicht werden. Dadurch stärkt UK seine Energieunabhängigkeit, hilft die Stromrechnungen seiner Verbraucher zu senken und trägt zu bedeutenden Einsparungen großer Mengen CO2-Emissionen bei.

Fallstudie: Blackhillock in Schottland gibt Startschuss für Momentanreserve

Für das „Stability Pathfinder“-Programm wurden insgesamt zehn Anlagen zur Erbringung von Stabilitätsdienstleistungen beauftragt – fünf davon setzen auf Batterie-Großspeicherkraftwerke. An verschiedenen Standorten in Schottland gehen dafür zeitnah und erstmals netzbildende Wechselrichter ans Netz.

Das Unternehmen Zenobé konnte sich im Rahmen der Ausschreibungen drei „Stability Contracts“ sichern. Dazu zählen die Standorte Blackhillock (200 MW / 400 MWh), Kilmarnock South (300 MW / 600 MWh) und Eccles (400 MW / 800 MWh). Zur Umsetzung der ersten beiden Projekte setzt Zenobé auf die SMA Grid Forming Solution.

SMA liefert die Batterie-Wechselrichter mit Mittelspannungsstation, die das Unternehmen Wärtsilä zu Batteriespeichersystemen (BESS) integriert.

In Blackhillock in Schottland begannen im Februar 2023 die Bauarbeiten, die Fertigstellung soll in diesem Jahr erfolgen. Indem mehrere Einnahmequellen aus Day-Ahead- und Intraday-Märkten, Regelenergie in Kombination mit Stabilitätsdienstleistungen und Schwarzstartfähigkeit gebündelt werden, wird die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Dienstleistungen erhöht. Denn somit wird der Leistungs- und Energiebereich von Batteriespeichersysteme (BESS) maximal ausgenutzt.

Weitere Informationen sind unter folgenden Links verfügbar:

Vergleichbare Märkte entstehen auch in der EU auf Basis der neuen „nicht-frequenzgebundenen Systemdienstleistungen“ – diese werden aktuell national implementiert. In Deutschland wird das Marktdesign voraussichtlich dieses Jahr 2024 verabschiedet. Deutschland wird damit der erste kontinentaleuropäische Markt für Momentanreserve (siehe Infobox „Roadmap Systemstabilität“).

Daneben gibt es weitere Märkte mit lokal schwachen Netzen, wie beispielsweise in Australien. Dort gibt es auch Ausschreibungen für Momentanreserve, allerdings dann oft regional begrenzt. Wenn etwa ein Gebiet durch lokale Gegebenheiten besonders geeignet ist für den Bau regenerativer Erzeugungsanlagen, die Übertragungskapazitäten aber nicht ausreichen, können netzbildende Wechselrichter mit Batteriespeicher eine Doppelfunktion erfüllen: Sie halten die Spannung stabil und können gleichzeitig Energie flexibel verschieben, beispielsweise in die Abend- oder Nachtstunden.

Das wird auch in Europa immer öfter der Fall sein, wenn die Netze hoch ausgelastet sind, aber der Netzausbau nicht hinterherkommt. Projektentwickler stehen hier vor der Herausforderung, einerseits die Flächen bestmöglich zu nutzen und andererseits das Netz zu entlasten. Hier gilt es nun, Investitionsanreize und passende Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Neue Chancen für die Projektfinanzierung

Für Projektentwickler ergeben sich neue Geschäfts- und Einnahmemöglichkeiten: Die Stabilitätsdienstleistung wird langfristig benötigt und wird daher über langjährige Verträge vergütet. Ergänzt um die Einnahmen aus dem Energiehandel ergibt sich so eine neues Finanzierungsmodell, das bessere Planungssicherheit bietet. Diese bessere Planbarkeit kann zu vermehrten Investitionen in Großbatteriespeicher führen und so den Umbau der Energieversorgung beschleunigen und insgesamt die Kosten für die benötigte Flexibilität im Energiesystem reduzieren.

Das nächste Level der Energiewende

In großen Batteriespeicherkraftwerken lassen sich mit netzbildenden Wechselrichtern einzelne Funktionen zeitlich flexibel gestalten. Nach Bedarf kann dann etwa zwischen Energiehandel und Stabilisierungsfunktionen gewichtet werden.
Betreibende solcher Batteriespeicherkraftwerke können hier von drei Möglichkeiten profitieren:

  • Energiehandel: bietet Investitionssicherheit
  • Ausschreibungen für Stabilitätsdienstleistungen: Investitionssicherheit durch langfristige Verträge
  • Netzwiederaufbau als Systemdienstleistung > vorhandene Netzanschlüsse nutzbar machen, Netze lokal stärken und dem verzögerten Netzausbau entgegenwirken

Vorteile für Marktakteure:

  • Netzstabilität zu geringen Kosten
  • Kostengünstige und klimafreundliche Energie im Markt

Bereits heute können Batteriespeichersysteme mit netzbildenden Wechselrichtern kurzfristige Erzeugungsdefizite ausgleichen und Systemdienstleistungen, wie Blindleistung, Kurzschlussleistung, Inselfähigkeit, Schwarzstartfähigkeit und Momentanreserve bereitstellen. In einem Demonstrationsprojekt der Versorgungsbetriebe Bordesholm und der Technischen Hochschule Köln wurde bewiesen, dass Batteriespeichersysteme mit netzbildenden Wechselrichtern in der Lage sind, die Aufgaben der Netzstabilisierung zu übernehmen.

Demonstrationsprojekt Bordesholm: 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung möglich

Ende 2019 simulierten die Projektpartner hier einen großflächigen Stromausfall. Sie trennten alle Haushalte, Betriebe und Institutionen in Bordesholm für eine Stunde vom europäischen Verbundnetz und aktivierten zeitgleich ein Ersatzstromnetz. Diese sogenannte Inselnetz versorgte die angeschlossenen Haushalte und Betriebe für diese Zeit mit 100 Prozent erneuerbaren Energien. An den meisten der 8.000 Haushalte ging der Versuch daher auch unbemerkt vorbei.

Ende 2019 simulierten die Projektpartner hier einen großflächigen Stromausfall. Sie trennten alle Haushalte, Betriebe und Institutionen in Bordesholm für eine Stunde vom europäischen Verbundnetz und aktivierten zeitgleich ein Ersatzstromnetz. Diese sogenannte Inselnetz versorgte die angeschlossenen Haushalte und Betriebe für diese Zeit mit 100 Prozent erneuerbaren Energien. An den meisten der 8.000 Haushalte ging der Versuch daher auch unbemerkt vorbei.

 

„Mit diesem Pilotprojekt konnten wir zeigen, dass es möglich ist, ein komplettes Stromnetz mit erneuerbaren Energien und einer Batterie zur Unterstützung des Stromnetzes zu betreiben. Das Inselnetz Bordesholm ist der Beweis, dass sich ganze Regionen mit erneuerbaren Energien versorgen können.“
Prof. Dr. Eberhard Waffenschmidt von der TH Köln

 

Das Pilotprojekt haben wir für euch in einem Video dokumentiert.

Inselnetz Bordesholm: Stromversorgung auch bei Netzausfall

Deutschland legt mit „Roadmap Systemstabilität“ Leitplanken fest

Die „Roadmap Systemstabilität“ [BMWK – Roadmap Systemstabilität] wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf den Weg gebracht und von der Bundesregierung im Dezember 2023 beschlossen. Sie ist Bestandteil des Koalitionsvertrages und beinhaltet einen Fahrplan zur Erreichung eines sicheren und robusten Systembetriebs mit 100 Prozent erneuerbaren Energien sowie die Prozesse und Funktionalitäten, die hierfür benötigt werden. Sie wurde unter Branchenbeteiligung und enger Einbindung der Bundesnetzagentur erarbeitet und bildet einen zentralen Baustein für die Transformation des Stromsystems im Rahmen der Energiewende. Die Roadmap legt fest, welche Maßnahmen bis 2030 umgesetzt werden müssen und welche Akteure dafür verantwortlich sind.

Zentrale Meilensteine der Roadmap Systemstabilität. Quelle: Roadmap Systemstabilität, Abbildung 1.2, Seite 8

Zentrale Meilensteine der Roadmap Systemstabilität. Quelle: Roadmap Systemstabilität, Abbildung 1.2, Seite 8

Wichtige Meilensteine:

  • Ende September 2023: Start der Konsultationen zur marktgestützten Beschaffung von Blindleistung, die zur Spannungsstabilisierung benötigt wird.
  • Anfang 2024: Ausschreibungen der vier Übertragungsnetzbetreiber für die Beschaffung von Blindleistung.
  • Geplant in 2025: Einführung der marktgestützten Beschaffung von Momentanreserve.

Fazit und Ausblick

Mit der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung des Energiemanagements lassen sich die Möglichkeiten zur Stabilisierung des Stromnetzes weiter verbessern. Praxisbeispiele wie das Projekt in Bordesholm zeigen, dass bereits heute ganze Regionen mit erneuerbaren Energien und Batteriespeichern stabil und zuverlässig versorgt werden können.

Großbritannien setzt mit dem „Stability Pathfinder“-Programm auf erneuerbare Energien und mehr Energieunabhängigkeit und schafft die passenden wirtschaftlichen Anreize.

Diese Projekte liefern bereits wertvolle Erkenntnisse und dienen als Modell für die Transformation des Stromsystems. Sie beweisen: Batteriespeichersysteme mit netzbildenden Wechselrichtern stellen die Weichen für Systemstabilität und eine zuverlässige Stromversorgung mit 100 Prozent erneuerbarer Energie.

Was es jetzt noch braucht, ist ein enges Zusammenspiel und ein offener Austausch zwischen politischen Entscheidungsträgern, Netzbetreibern, Energieversorgern und relevanten Branchenakteuren. Es gilt im Sinne der Energiewende den technologischen Fortschritt weiter zu beschleunigen, technische Herausforderungen zu lösen sowie rechtliche und regulatorische Hürden abzubauen.

Mit der SMA Large Scale Grid Forming Solution bietet SMA eine zukunftsorientierte Lösung für Kraftwerksbetreiber: Das System stabilisiert unter anderem die Netzfrequenz und hält dafür instantan verfügbare, kurzfristige Leistungsreserven bereit. Damit verhält sich das Kraftwerk als eine Einheit gegenüber dem Netz. Die SMA Lösung übernimmt nicht nur die Umwandlung von Gleichstrom in Wechselstrom und umgekehrt, sondern auch die Netzbildung, um beispielsweise kurzfristige Spannungs- oder Frequenzeinbrüche auszugleichen. Sie können kurzfristig Momentanreserve aus dem Batteriespeicher bereitstellen, um das Netz bei Frequenzschwankungen stabil zu halten.
Diese moderne Technik ist bereits in Großspeichern im Einsatz. SMA unterstützt weltweit Partner bei ersten Großprojekten zur Netzstabilisierung und ist im direkten Austausch mit Übertragungsnetzbetreibern in diesen Ländern.

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